Station 6: Im Bann der Wasserfrau

Ein reizendes Wasserfräulein lockt einen feschen Bauernsohn in ihr nasses Element, während der Vater seiner Arbeit nachgeht. Der Junge kann ihrer Verführung nicht widerstehen, er steigt ins Wasser und wird von der Nixe hinuntergezogen. Dort muss er für das schöne Fischmädchen Holz hauen und in ihrem Glas-Stübchen Ordnung halten.

Für den Vater und den kleinen Bauernhof scheint der junge Mann verloren. Doch der Vater gibt nicht auf. „Gib mir meinen Sohn wieder!“ fleht er. Und er bietet dem Fräulein alles, was es haben will. Wirklich lässt es sich erweichen und gegen eine Ladung Lebensmittel gibt ihren Diener wieder frei.

Seitdem tanzen sie wieder in den Auwiesen, die schönen Wassermädchen.

(Neuenhammer)

Volltext

(Text  in Originallänge, nur wenig an die heutige Sprache von Erika Eichenseer angepasst)

Die Wasserfräulein sieht man nur zur Mittagsstunde oder um Mitternacht, bei Sonnen- oder Mondlicht auf dem ruhigen Wasserspiegel oder in der Wiese liegen oder tanzen, stets in verführerischer Stellung. Ihre Haare sind ganz hellblond oder rabenschwarz, bekleidet sind sie nur mit einem Schleier aus leuchtenden Wasserfarben und Blumenkränzen.

Ein Wasserfräulein stieg täglich um die Mittagszeit aus dem Wasser im Wald und setzte sich auf den glänzenden Wasserspiegel.

Ein Bauer fährt mit seinem hübschen Sohn gerade an dem Weiher vorbei ins Holz.

„Ich lasse den Wagen hier stehen. Warte hier und pass auf die Zugtiere auf“ sagt der Vater und verschwindet im Wald.

Die Wasserfrau hat die beiden gesehen und winkt dem Jungen, lockt ihn, wirft ihm Blumenkränze zu und fragt ihn, ob er nicht zu ihr kommen möchte. Er kann ihr nicht widerstehen, steigt ins Wasser und wird von der Wasserfrau hinuntergezogen.

Der Vater war zurückgekommen und hatte mit Schrecken alles gesehen. Er schlug und peitschte das Wasser, aber es war alles vergebens, er musste allein heimfahren.

Jahre später fährt der alte Vater wieder an dem Teich vorbei, da sieht er die Wasserfrau auf dem Wasserspiegel sitzen. „Gib mir meinen Sohn wieder!“ fleht er sie an, „du hast ihn lange genug gehabt! Ich gebe dir dafür, was immer du verlangst!“

Die schöne Nixe hatte ein Einsehen und ließ den Mann frei, der ihr so lange gedient hatte. Als Dank erhielt sie einen Wagen voll mit Lebensmitteln, die sie sogleich in ihr Reich hinunterzog. Dort hatte sie ein Stübchen aus Glas, und sie war nur einen Tag in der Woche zur Hälfte ein schönes Weib, zur anderen Hälfte Fisch.

Neuenhammer SSO II, S.195 f.