Die verwunschene Krähe

--> Volltext des Märchens

Ein Märchen von Franz Xaver von Schönwerth,
als szenisches Spiel mit gemischten Medien, realisiert von Erika Eichenseer

Personen:

• Der alte König, Vater der 3 Prinzessinnen
• Lionella
• Kunigunde      } drei Prinzessinnen
• Rosalinde
• Prinz, auch in der Verzauberung als Krähe
• Eltern des Prinzen
• Trommler
• Diener
• Küchenmädchen 
jeweils als natürliche Personen und als Marionetten

Bühne:

Bei dem Märchen werden drei Spielebenen verwendet: Das echte Personenspiel, die Schattenwand und die Marionetten. Man braucht dazu nur eine Marionettenbühne, an die man seitlich eine Schattenwand heftet, davor etwas Platz für das "echte" Spiel.

Die Schattenspieler müssen nahe an der Leinwand spielen, damit die Konturen möglichst scharf sind; ihre Kostüme sollen markante Umrisse haben (Spitzenstoffe, Kronen, hohe Frisuren für die Prinzessinnen, Haarschleifen, hohe Krägen usw.  Am besten sind sie im Profil erkennbar, das sollte die Grundhaltung sein. Vorsicht, dass keine Menschenknäuel entstehen, also Personen möglichst frei stellen.

Auf der Marionettenbühne sind an der Spielleiste Metallschellen angebracht, in die man die Haltestäbe der Figuren einstecken kann. Das spart Kraft. Die kleinen Speisen werden mit einem gebogenen Draht über den Tisch gehalten. 

Beleuchtung:

zwei Overhead-Projektoren, einer davon mit Laufvorrichtunq; farblose Folien, eine gelbe, grün für das Laufband, Folienstifte, der andere als Scheinwerfer. Bühnenbeleuchtung für die Marionettenbühne.

Skizze 1(der König): Wellpappe-Gerüst für den alten König mit Haltestab zum Einstecken und Führungsstäbchen für die Kopfmechanik

Material:

Für die Marionetten genügen Puppen aus Wellpappe an Haltestäben mit je einem beweglichen Teil (Kopf oder Arm), die bemalt und textil angezogen werden. Haare, Krone usw. werden aufgeklebt.

Herstellung von Stabmarionetten:

Die vorgeschlagene Art des Puppenspiels hat den Vorzug, dass sich die Spieler einerseits hinter dem Medium der Marionette selbst unbeobachtet glauben und freier spielen können, andererseits aber hat der Zuschauer ein doppeltes Spiel vor Augen: dadurch dass der Führende immer hinter oder neben der Puppe bleibt, ist er ständig sichtbar, wenn auch vielleicht weniger ausgeleuchtet. Die Spieltechnik verlangt wenig Geschick, da nur zwei Fäden zu bedienen sind, doch ist auch mit dieser einfachen Methode eine erstaunliche Subtilität der Figuren zu erreichen.

Material:  Wellpappe, 4 Quadrate von etwa 15 cm Seitenlänge; 1 flacher Stab, ca. 80 x 1,5 x 0,3 cm; 1 Querstab ca. 20 x 1,5 x 1,5 cm, dunkler Zwirn oder Angelschnur, farbige Stoffreste, nicht zu klein, Material für Haare, Schmuck, etc. Herstellung: Die Wellpappe wird in Kopfform mit Halsansatz zweimal zugeschnitten, einmal längs und einmal quer gewellt. Zwischen diese beiden Flächen klebt man den Flachstab so, dass er über dem Kopf 30–35 cm herausschaut (je nach Größe des Kindes, das die Puppe führt) und nach unten ebenso weit, d. i. die Sitzhöhe der Puppe. Die Puppe soll bequem mit aufrechter Körperhaltung des Spielers geführt werden.

Das Kleid ist entweder ein halbiertes Stück Stoff mit einer Halsöffnung oder man bindet oder klebt um den Halsansatz lose Tücher, von denen zwei tütenförmig genäht werden können als Arme. Aus den restlichen Wellpapierstücken schneidet man Hände aus, die im Verhältnis ziemlich groß sein können (die Hände des Spielers!) Nachdem Kopf und Hände fertig und bemalt sind, durchbohrt man das Querholz in der Mitte so, dass der Führungsstab eingeleimt werden kann. Eine dünne, saubere Bohrung an beiden Enden ergibt die Fadenführung für die Hände. Ein Stück Angelschnur (oder auch Zwirn o. ä.) wird an einer Hand oben verknotet, dann von unten, durch die Seitenbohrungen im Querholz geführt, oben über das Holz und durch die andere Bohrung nach unten zu der anderen Hand, wo sie festgemacht wird.

Die Schnur soll so lang sein, dass sie bei herunterhängenden Händen  leicht gespannt ist. Jetzt kann man noch die restliche Dekoration anbringen (Haare, Schleier, Schmuck), dann ist die Marionette fertig. Sie wird beim Spielen mit einer Hand am Querholz gehalten, die andere bewegt die Hände einzeln an der Schnur oder aber auch beide durch Ziehen an er Fadenverbindung auf dem Querholz.

Man muss nicht ausgearbeiteten Szenen als Grundlage wählen; psychologisch viel interessanter und wertvoller ist es, gegebene Grundthemen wie Märchen oder Sagen selbst zu dramatisieren mit den Kindern (wozu ein Hineindenken auf die jeweilige Marionettenart notwendig ist), diese selbst in Sprache setzen zu lassen und intuitiv zu sprechen. So wird Theater nicht zur Schablone, es wird zum tatsächlichen Agieren unter Einsatz aller schöpferischen Kräfte der Kinder.  [Erika Eichenseer / Tibor Ehlers]

Bild 1

[Skizze 2: Krähe klein]

Marionettenbühne. Ein Pferd mit einem schlafenden König als Reiter steht im Wald. Eine Krähe umfliegt den Schläfer.

Krähe:  Jetzt sitzt der König immer noch auf seinem Pferd und schläft. Ich glaube, drei Jahre sehe ich ihn nun schon jeden Tag. Ob er wohl verzaubert ist, daß er auf Erlösung warten muss? Ich will ihn einmal wecken. (Pickt ihn)

König:  Wo bin ich? - Warum bin ich im Wald allein? - Wo ist mein Schloss? - Wo sind meine Kinder? - Was will der schwarze Vogel hier in meiner Nähe?

Krähe:  Na, hast du endlich ausgeschlafen? Lange genug sitzt du schon auf deinem Pferd, ich glaube, drei Jahre!

König:  Drei Jahre? - Dann hat mich der große Zauberer doch verwünscht damals, als ich mich im Wald verirrte. Damals sagte er: Erst wenn dich ein Tier aufweckt, dann bist du wieder erlöst. Du hast mich erlöst! Ich danke dir, du liebe Krähe! Wie kann ich dir dafür etwas Gutes tun?

Krähe: Ich bin auch verzaubert worden von dem großen Zauberer, aber ich kann nur durch die Liebe eines Mädchens erlöst werden. Wenn du mir eine von deinen drei Töchtern zur Frau gibst, werde ich vielleicht wieder meine frühere Gestalt annehmen, als Sohn eines mächtigen Königs. Meine Eltern werden bestimmt schon vor Sorgen um mich vergehen.

König:  Eine meiner Töchter zur Frau? Ob das eine von ihnen auf sich nehmen will, eine Krähe zu heiraten? Aber ich will es gerne versuchen, liebe Krähe, aber versprechen kann ich nichts. Ich will gleich heim reiten und ihnen alles erzählen.

Krähe:  Hier, nimm ein Bild von mir mit, damit du es ihnen zeigen kannst.                             

König:  Gerne! Auf Wiedersehen! Du hörst wieder von mir.

Krähe:  Auf Wiedersehen!

Bild 2

[Skizze 4: Krähenbild groß]

Auf der Schattenbühne erscheinen die drei Prinzessinnen beim Ballspiel. Sie lachen und schäkern.

Lionella:  Paß doch auf, wo du hinwirfst.

Kunigunde:  Ich werfe so hoch, bis ich meinen Freier in den Wolken sehe.

Lionella:  Wie sieht er denn aus?

Kunigunde:  Groß, blond, lockiges Haar, dazu blaue Augen.

Lionella:  Meiner muss schwarze Haare haben und meeresgrüne Augen.

Kunigunde:  Reich muss er auch sein und ein großes Land besitzen.

Lionella:  Edelsteine und Diamanten und ein großes Schloss muss er haben.

Kunigunde:  Und viele Diener . . . Warum sagst du denn gar nichts, Rosalinde?

Rosalinde:  Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht.

Lionella:  Du bist ja auch noch viel zu jung dazu!

(Es klopft. Der Vater tritt ein mit langem grauem Bart, wie die Marionette. Große Begrüßung, großes Fragen)

König:  Endlich hin ich wieder daheim. Wie bin ich froh! Ich bin vor drei Jahren zu tief in den Wald geritten und kam in den Bannkreis des großen Zauberers. Er hat mich dazu verwünscht, so lange zu schlafen, bis mich ein Tier weckt.

Prinzessinnen:  Ein Tier? - Hat dich jetzt ein Tier geweckt?

König:  Ja, eine Krähe hat mich die ganze Zeit beobachtet und schließlich geweckt.

Prinzessinnen:  Eine Krähe? - Wie ungewöhnlich. Wollte sie einen Lohn von dir?

König:  Ich habe sie gefragt, wie ich ihr danken könnte. Sie sagte, daß sie auch verwünscht sei und dass sie nur durch die Liebe eines Mädchens erlöst werden könne.

Prinzessinnen:  Durch die Liebe eines Mädchens? - Was hast du gesagt, Vater?

König:  Sie hat mir ein Bild mit gegeben und gesagt, dass ihn eine von euch erlösen kann, wenn sie ihn zum Mann nimmt.

Lionella und Kunigunde:  Eine von uns ?? - Bist du von Sinnen ?

Kunigunde:  Ich will keine Krähe zum Mann, sondern einen großen, blonden, lockigen, blauäugigen Prinzen mit viel Gold und Edelsteinen!

Lionella:  Und ich will einen schwarzhaarigen mit meeresgrünen Augen und einem großen Schloss! 
(Beide weisen das Bild, das natürlich jetzt wesentlich größer sein muss als auf der Marionettenbühne, heftig von sich)

Lionella:  Nein, Vater, das kannst du nicht von uns verlangen, daß wir einen schwarzen Vogel heiraten, der bloß krah sagen kann! Stell dir bloß die Hochzeit vor! Komm, Lionella, wir gehen in den Park zum Spielen, dieses Geschwätz ist ja nicht mehr auszuhalten.

König:  Und du, Rosalinde?

Rosalinde:  Mir gefällt dieses Bild. Ich werde es in mein Zimmer nehmen.

(Licht ab auf der Schattenbühne)

 

Bild 3

[Skizze 3: Kutsche]

Marionettenbühne. Die zwei Prinzessinnen spielen noch Ball, Rosalinde kommt später dazu, bleibt nachdenklich stehen.

Kunigunde:  Was sich unser Vater wohl einbildet mit der Krähe?

Lionella:  Unglaublich! Stell dir bloß einen Kuss von ihm vor! Nein, daß der Vater uns so etwas zumuten würde!

Eine Kutsche kommt vorgefahren, hält an. Die Prinzessinnen laufen voll Neugierde hinzu und mustern die Kutsche, doch wenden sich entrüstet ab, als eine schwarze Krähe aussteigt. Rosalinde bleibt abwartend stehen.

Krähe:  Guten Tag, liebe Prinzessinnen; wollt ihr in meiner Kutsche spazieren fahren?

Prinzessinnen:  Spazieren fahren? In dieser schönen Kutsche? J—a, warum eigentlich nicht? Wohin fahren wir?

Krähe:   Zu meinem Schloß. (Große Verwunderung) Ja, ich bin nämlich ein verwunschener Prinz und will euch mein Schloss zeigen. Kommt mit, es wird euch gefallen. (Die beiden Mädchen steigen ein) Komm, Rosalinde, wir setzen uns aufs Pferd.

(Mit der Rollfolie läuft nun ein Wald vorbei, die Kutsche bleibt stehen. Der Wald wird immer dunkler und unheimlicher, bis es schließlich ganz dunkel wird und nur noch (Foto-)blitze die Szene erhellen. Große Angst bei den Mädchen)

Lionella:  Ich fürchte mich, fahr nicht so schnell! Ich will heim zu meinen Eltern! Halt, Hilfe, Hilfe

Kunigunde:  Entsetzlich, man sieht die Hand vor den Augen nicht mehr. Willst du uns auch verzaubern? Hilf uns, Vater! —

(Auf einmal fahren sie aus der Dunkelheit in einen wunderschönen Zitronenwald, es wird heller und heller, dann taucht ein Schloss auf, das auch auf die Folie gemalt ist. Sie steigen aus, staunen, laufen neugierig heran. Rosalinde bleibt ruhig an der Seite der Krähe)

Krähe:  Wollt ihr das Schloss anschauen? Ihr dürft überall hingehen, in jeden Winkel des Schlosses und des Gartens. Bloß in dieses Zimmer (zeigt es) dürft ihr nicht gehen, sonst ist alles verloren.

Lionella:  Komm, Kunigunde, wir laufen los. Ich bin so neugierig, was wir hier alles erleben werden.

Krähe:  Seid nur nicht zu neugierig! —

Prinzessinnen:  Nein nein, hab nur keine Angst!

(Sie laufen los, aus der Marionettenbühne hinaus, erscheinen wieder vor der Bühne, schauen, schwärmen, erzählen außer Atem, was sie da gesehen haben.)

Lionella:  Hast du die Orangen im Park gesehen und die Bananen? Ich habe so viele Früchte gegessen, daß mir ganz übel davon ist!

Kunigunde:  Und die Wasserspiele! - Das Karussell war so lustig, aus dem das Wasser gespritzt ist!

Lionella:  Und die Zimmer im Schloß! Seide und Marmor und Edelsteine und Gold! Mir tun die Augen noch ganz weh von all dem Glanz!

Kunigunde:  Ich glaube, nun haben wir alles gesehen - bis auf das verbotene Zimmer.

Lionella:  Warum dürfen wir eigentlich das nicht sehen? Sicher ist dort noch mehr Reichtum und Glanz als hier.

Kunigunde:  Oder etwas ganz Schreckliches! Ich vergehe auch schon vor lauter Neugierde!

Lionella:  Schauen wir doch wenigstens durchs Schlüsselloch, das merkt doch keiner!

 

(Sie stellen sich rechts und links vor die Schattenwand und beobachten. Im selben Moment geht Licht an; Rosalinde und ein Prinz werden im Schlüsselloch sichtbar, tauschen Zärtlichkeiten aus)

Kunigunde:  Das ist doch unerhört! Rosalinde und der Prinz! Den hätte ich auch gewollt. Deswegen hat sie immer nichts gesagt, weil sie ihn für sich haben wollte! So eine falsche Kröte!

(In dem Moment zerstört ein Donnerschlag die ganze Szene; das Licht geht aus, die zwei Prinzessinnen rennen schreiend hinter die Bühne, erscheinen als Marionetten im dunklen Wald, heulen verzweifelt. Rosalinde kommt auch, todunglücklich, mit der Krähe, die aufgeregt die Mädchen umfliegt.)

Krähe:  Jetzt ist alles verloren! Ich war so nahe an der Erlösung! Alles, alles verloren! (Sie setzt sich auf die Hand von Rosalinde, trauert.)

Rosalinde:  Sag mal, ist denn überhaupt keine Hilfe mehr möglich? Ich würde alles für dich tun!

Krähe (nach langer Überlegung):  Es gäbe schon noch einen Weg, aber der ist zu schwer für dich.

Die drei Prinzessinnen:  Was denn? - Wie denn? - Sag's doch, liebe Krähe!

Krähe:  Eine von euch muss als Bettlerin durch die Stadt gehen und Arbeit suchen, Was immer ihr angeboten wird, soll sie tun, dann kann ich vielleicht noch erlöst werden.

zwei Prinzessinnen:  (entrüstet) Als Bettlerin? - Arbeiten? - Was ist das? - Nein, das ist zu viel verlangt! Kommt, wir gehen ins Schloss. Soll Rosalinde gehen, wir nicht! (Ab)

Rosalinde:  Meine liebe Krähe, ich will alles für dich tun, aber ich weiß nicht, ob ich es kann. Wirst du mir helfen, wenn ich in Not gerate?

Krähe:  Natürlich, mein geliebtes Mädchen, werde ich immer in deiner Nähe sein und dir helfen, wenn du mich brauchst.

(Ab. Vorhang zu auf der Marionettenbühne für den Umbau zum königlichen Esszimmer)

 

Bild 4

(Rosalinde kommt als Bettlerin vor die Bühne und fragt die Zuschauer, ob sie Arbeit hätten für sie. Überall bekommt sie eine Absage; sie wird immer verzweifelter. Dann kommt der königliche Ausrufer mit Trommelschlägen dazu)

Trommler:  Bekanntmachung! Der König sucht eine neue Köchin: Sauber, ehrlich, fleißig, dazu muss sie über alle Maßen gut kochen können! Bekanntmachung! (wiederholt)

Rosalinde  (wird langsam aufmerksam, nähert sich furchtsam dem Ausrufer, der sie aber nicht bemerken will)

Trommler:  Du? - Du willst königliche Köchin werden? Ich sagte doch sauber! - Kannst du denn kochen?

Rosalinde (zögernd):  J—a

Trommler:  Exzellente Suppen?

Rosalinde:  J - a

Trommler:  Delikate Fleisch- und Fischspeisen?

Rosalinde:  J - -- - a!

Trommler:  Königliche Nachspeisen?

Rosalinde (sichtlich beunruhigt, aber der Wille zu helfen ist stärker):  J - a.

Trommler:  Dann komm mit.
(Sie gehen hinter die Bühne; Rosalinde erscheint auf der Schattenwand, in die eine Küche eingeblendet ist .Ein Küchenmädchen putzt irgendwo herum)

Rosalinde:  Ich habe bloß Angst, daß ich es dem König nicht recht machen kann. Ich kann doch überhaupt nicht kochen. Woher sollte ich auch? (Zum Küchenmädchen) Weißt du, wie man eine Suppe macht?

Küchenmädchen:  Nicht genau, aber ich glaube, die nehmen Wasser, dann schütten sie was rein, Mehl oder Pudding, dann Honig oder Sirup, Essig, Fischschwänze und Schweinsrüssel

Rosalinde nimmt vom Regal alles, was das Küchenmädchen vorschlägt, rührt in einen großen Topf immer wieder um.

Inzwischen ist auf der Marionettenbühne der Vorhang aufgegangen; an einer großen königlichen Tafel sitzen König und Königin und warten auf das Essen.

Jetzt wechseln beide Bühnen ab, doch die Gespräche dürfen sich gegenseitig nicht stören. Der Diener erscheint oben als Marionette, kommt aber dann als lebende Schattenfigur mit denselben Merkmalen wie Haarzopf usw. in die Küche.

König:  Ich bin ja neugierig, meine liebe Frau, wie die neue Köchin kocht. Wir hatten jetzt so oft Pech, daß ich wirklich wieder einmal etwas Gutes essen möchte.

Königin:  Ja, ich auch, aber sehr viel versprechend hat die Neue nicht ausgesehen!

König:  Stimmt, unordentlich und zerlumpt war sie wie eine Bettlerin. - Du siehst heute wieder so traurig aus, liebe Frau. Hast du Sorgen?

Königin:  Es ist immer dasselbe. Ich kann es einfach nicht glauben, daß unser lieber Sohn nicht mehr heimkommt. Er ist doch frisch und gesund aus dem Haus gegangen, damals vor drei Jahren, und wir haben nichts mehr von ihm gesehen oder gehört.

König:  Wir haben doch überall gesucht, unsere Ausrufer sind durch das ganze Land gezogen, und keiner hat auch nur die Spur von ihm gefunden. Wir müssen uns damit abfinden, daß er verunglückt ist.
(Inzwischen ist in der Küche der Diener erschienen und hat die Suppenschüssel in Empfang genommen; mit dem Ausdruck größter Ablehnung trägt er sie weg und erscheint mit derselben Schüssel, aber kleiner, als Marionette auf der Bühne.)

Diener:  Königliche Hoheiten, die Suppe!

König:  Riecht die aber eigenartig!

Königin:  Pfui Teufel, die riecht ja entsetzlich! Tragen Sie das Teufelszeug gleich wieder in die Köche und sagen Sie der Köchin, wenn sie uns noch einmal so etwas Scheußliches kocht, dann fliegt sie auf der Stelle raus!

König:  Ins Gefängnis fliegt sie! Die will uns ja vergiften!

Rosalinde (hat unten gelauscht und alles gehört. Ganz aufqelöst setzt sie sich und weint haltlos):  Ich hab's gewusst, ich hab's gleich gewusst, daß das nichts werden kann. Was soll ich bloß tun? Wenn ich im Gefängnis sitze, kann ich meine Krähe nicht mehr erlösen.

(in dem Moment fliegt die Krähe zum Fenster herein und setzt sich auf ihre Hand)

Krähe:  Weine nicht! Komm, reiß mir eine Feder aus meinem Flügel. Alles, was du mit dieser Feder schreibst, geht in Erfüllung.

Rosalinde (begrüßt die Krähe zärtlich):  Ich will dir aber nicht wehtun! -

Krähe:  Keine Sorge; zieh nur! (sie reißt die Feder aus, hält sie hoch) Und jetzt schreibe:
- Königinpasteten als Vorspeise
- Gespickter Heilbutt
- Fasan
- ... und eine Götterspeise als Nachtisch.   (Sie hat alles eifrig aufgeschrieben, ist sichtlich erleichtert, inzwischen ist der Diener mit der schlechten Suppe erschienen)

Diener:  Die Majestäten sind wütend über die scheußliche Suppe. Wenn du nichts Besseres kochen kannst, dann fliegst du ins Gefängnis!

Rosalinde:  Gib nur her und bringe ihnen etwas Besseres!

(Jetzt beginnt ein rasches Wechselspiel zwischen unten und oben; Rosalinde verlangt die neuen Speisen ab; die kommen von oben in die Schattenbühne, der Diener übernimm sie, trägt sie zum königlichen Esszimmer, jeweils dieselbe Form, aber kIeiner, dort ist großer Jubel über die vorzüglichen Speise. Die Köchin nimmt alles wahr und hüpft vor Freude in der Küche. Ein bisschen Tafelmusik kann des Gespräch ersetzen)

Nach der Götterspeise:
König:  Diener, bringen Sie der Köchin schöne Kleider und Schmuck; sie hat uns ein wahrhaft königliches Mahl bereitet!

Diener:  Sehr wohl, Majestät. (Ab. Kommt mit Spitzenkleidern in die Küche) Ich soll dir die schönen Kleider bringen, weil du ein so überaus gutes Mahl gekocht hast.

Rosalinde (zieht sich die Kleider über):  Ich hab's geschafft! Meine Krähe hat mir geholfen! Jetzt hat alle Not ein Ende. Krähe, wo bist du denn? Krähe! Krähe! Ach, wie bin ich glücklich!

Krähe  (ist inzwischen herein geflogen, setzt sich in ihre Hände. Diener und Küchenmädchen ab.)

Rosalinde:  Meine geliebte Krähe, wie kann ich dir bloß danken? Du hast mich vor dem Gefängnis bewahrt. Schau die schönen neuen Kleider, die ich vom König bekommen habe! Ich bin so froh und so glücklich!
(küßt die Krähe ganz liebevoll auf den Schnabel. In dem Moment Trommelwirbel, Licht kurz aus, dann sehr hell, vielleicht gelb, ohne Küchenkulisse: der Prinz in seiner erlösten Gestalt. Zarte, freudige Begrüßung der beiden)

Prinz:  Endlich bin ich erlöst! Du hast es durch deine Liebe fertig gebracht. Ich danke dir von Herzen, meine süße Rosalinde

Rosalinde:  Wenn du mir nicht geholfen hättest, hätte ich den schweren Weg nicht gehen können.

Prinz:  Komm, lass uns nicht lange reden, gehen wir zu meinen Eltern, die haben mich sicher schon tot geglaubt.

(Ab. Sie erscheinen nun als Marionetten im königlichen Esszimmer und begrüßen die Eltern. Hier ist sicher keine Textvorlage nötig; der Jubel endet mit: Kommt, lasst uns Hochzeit feiern! Hochzeitsmusik; ein bisschen Tanz der zwei Paare auf der Marionettenbühne, dann kommen die Darsteller mit ihren personengleichen Marionetten vor die Bühne und bilden den Hochzeitszug:
- Der Trommler
- Das Brautpaar
- Die Eltern
- Der Diener
- Das Küchenmädchen

Sie marschieren durch den Zuschauerraum und holen den alten König und seine zwei Töchter ab, die irgendwo unbemerkt Platz genommen haben. Dann alle wieder auf die Bühne.)

 

Ende