Das Daumennickerl

Ein Paar Bauerleute wünschten sich lange Zeit ein Kind. Doch ihr Wunsch blieb unerfüllt, bis sie flehten: "Ein Kind wollen wir, und wenn es nicht größer ist als ein Daumen!" Wirklich bekamen sie ein Söhnchen, das, weil es nur so groß wie ein Daumen war und auch nicht mehr wachsen wollte, Daumennickerl (von Nikolaus) genannt wurde.
Der Bauer trug das Söhnchen gewöhnlich bei sich in der Hutkrempe. Wenn er ackerte, setzte er den Knirps ins Ochsenohr, wo er lustig sang und sprang.

Einmal fuhr ein Kaufmann vorbei und sah das Nickerl im Ochsenohr rumoren; er hielt an und wollte das kleine Wesen haben. Der Bauer willigte nicht gleich in den Handel ein, doch raunte ihm der Kleine zu nachzugeben. Der Kaufmann setzte den kleinen Kerl in den Wagen, der Bauer lief hintendrein, und während der Kaufmann, der viel Geld in einer Truhe bei sich hatte, schlief, doch der Winzling durch das Schlüsselloch in die Truhe, öffnete sie und war seinem Vater das Geld daraus zu. Der Kaufmann kehrte darauf in einem Wirtshaus ein, und als er die Zeche bezahlen wollte, fand er kein Geld mehr in der Lade. Mit der Peitsche verfolgte er das Nickerl, das aber kroch in ein Salzfass und entging den Schlägen.

Als die Wirtsmagd die Kühe füttern wollte und ins Salzfass griff, erwischte sie mitsamt dem Salz das Nickerl und war es der Kuh in den Barren. Die Kuh fraß es mit dem Salz, und als die Magd die Kuh molk, schrie es in der Kuh so laut, dass alle das Tier für besessen hielten. Am nächsten Tag kam das Nickerl wohlbehalten mit einem Kuhfladen wieder ans Licht, aber der Wirt spießte es mit dem Kuhfladen auf und schleuderte alles über ein Mauseloch.

Die Maus witterte den Braten, lief heran und sperrte den Rachen auf. Draußen vor dem Loch lauerte der Fuchs auf die Maus, und dazwischen kauerte das Nickerl in Todesangst. Weil aber die Maus den Fuchs und der Fuchs die Maus roch, bewegte sich keines von beiden von der Stelle.

Nickerls Vater ackerte eben das Feld des Wirtes. Dabei kam er mit der Pflugschar nahe an das Mausloch heran und warf mit der Maus auch den Nickerl heraus.
Glücklich nahm der Vater sein Söhnchen in die Hand und setzte es wieder ins Ochsenohr, wo der Kleine wieder sang und sprang.