Auf der Suche nach Heimat in Sprache und Raum
Der Oberpfälzer Sammler Franz Xaver von Schönwerth
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Festgäste,
es gibt eine sehr beruhigende sprichwörtliche Feststellung: „(aber) spätere Tage sind als Zeugen am weisesten“. Wenn wir ihr Glauben schenken wollen, dann ist es auch am 200. Geburtstag von Franz Xaver von Schönwerth nicht zu spät, die zweifellos großen Verdienste dieses Mannes zu würdigen. Wir sind weise geworden.
Nun habe ich meinen Ausführungen über Franz Xaver von Schönwerth den Titel vorangestellt: Auf der Suche nach Heimat in Sprache und Raum. Wenn wir über ‚Heimat’ sprechen, dann sprechen wir auch heute über nichts Veraltetes, Überholtes, Obsoletes, sondern über etwas, das jeden Menschen in mehr oder weniger gravierender Weise prägt. Natürlich verbindet jeder Mensch ‚Heimat’ mit etwas anderem; um einen geographisch fassbaren Begriff handelt es sich freilich nicht.
Ernst Bloch spricht in seinem Prinzip Hoffnung davon, dass in der Welt etwas entstehe, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“. Der Oberpfälzer Walter Höllerer aus Sulzbach-Rosenberg, der die meiste Zeit seines Lebens weit weg von seiner Geburtsstadt verbracht hat, überschreibt in seinem Band Oberpfälzische Weltei-Erkundungen von 1987 das erste Kapitel mit: Heimat, wiedergesucht. Und in einem Interview sagt er: "Für jeden ist wahrscheinlich der Punkt der Welt der Mittelpunkt, wo er zum ersten Mal sich mit der Wirklichkeit befassen und sich selber die Welt aufbauen musste, in seinem Vorbewußtsein und im Bewußtsein. (S. 120)"
Franz Xaver von Schönwerth hat, nachdem er das Gymnasium und die Lyzealanstalt in Amberg besucht hatte, bereits mit 22 Jahren seine Heimatstadt verlassen müssen, um in München zunächst Bauwesen und dann Jura und Geschichte zu studieren. Aber bereits da war seine Bindung zur heimatlichen Oberpfalz so ausgeprägt, dass ihn der Hang, sich Heimat durch Sammeln und Aufzeichnen der bedrohten Kulturgüter anzuverwandeln, zeitlebens nicht mehr losließ, auch wenn seine diesbezügliche Tätigkeit vor allem seit den 50er Jahren einsetzte, als er gut 40 Jahre alt war. Sein neues Domizil München, aber auch die dortige Vermählung mit der Oberpfälzerin Maria Rath dürfte entscheidend mit dazu beigetragen haben, denn die Bedrohung sah er vor allem durch die zunehmende Verstädterung gegeben, und natürlich ist es auch alte Volksweisheit, dass man Heimat intensiver erfährt, wenn man von ihr entfernt ist. Seine lange Zeit in München, die noch genauer zu betrachten wäre, hat ihn verstärkt den Umgang mit Oberpfälzer Landsleuten suchen lassen, freilich um seine Sammeltätigkeit voranzutreiben, aber bestimmt auch aus dem Gefühl heraus, das wir ‚Heimweh’ nennen. Das erinnert an ein fast 2500 Jahre altes Wort von Sophokles in seinem Philoktet:
"O teurer Laut, o Glück, nach langer Zeit, Auch nur zu hören eines Landsmanns Rede."
Wilhelm von Humboldt identifiziert Heimat überhaupt weitgehend mit Sprache (Briefe an eine Freundin, 21.8.1827): "Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache. Sie bestimmt die Sehnsucht danach, und die Entfernung vom Heimischen geht immer durch die Sprache am schnellsten."
Was in Schönwerth Vertrautheit und Glücksgefühl auslöste, nämlich die Pfälzer Mundart, war allerdings um die Mitte des 19. Jahrhunderts für oberbayerische Ohren eher eine Beleidigung, wie er damals in München feststellen musste: Ein Abwertung des Fremden, wie sie uns bis heute nicht unbekannt ist.
Das Sammeln war im Anschluss an die Romantiker, nicht nur der Brüder Grimm, altuell geworden und galt dann im Laufe des 19. Jahrhunderts –von manchen etwas belächelt – geradezu als Ausdruck einer ‚biedermeierlichen’ Grundhaltung. Diese allgemein vorherrschende Tendenz zur Rückerinnerung, zur Wiederbesinnung auf Altvertrautes und zum Sammeln alter Kulturgüter wurde, abgesehen von den Berufsvolkskundlern, in ganz überwiegendem Maße von Vertretern der Lehrerschaft in die Praxis umgesetzt. Sie war auch für den hohen Finanzbeamten Schönwerth, der von daher fast als eine Ausnahmeerscheinung angesehen werden muss, Antrieb seines lebenslangen Schaffens. Dass er die Zeichen der Zeit erkannt hatte, geht aus dem berühmten Einleitungssatz zu seinen Sitten und Sagen, I, 1857, hervor:
"Es geht zur Zeit ein eigentümlicher Geist durch alle Deutschen Gauen: der Deutsche kehrt aus der Fremde zurück in sein eigen Haus und schaut sich um wie es bestellt ist und findet, daß gar gut drin wohnen sey. Was er mißachtet hat, lernt er schätzen, was er in den Winkel gestellt, kehrt er hervor und besieht es und erkennt mit Staunen, welchen Schatz er vor sich verborgen hatte."
Ohne mit der Sprache seiner Heimat eng vertraut zu sein, kann es keine so intensive Sammel- und Forschungstätigkeit geben. Schönwerth, der überhaupt sehr sprachenkundig war, berichtet sogar, dass er den Oberpfälzer Dienstboten und seinen sonstigen Gewährsleuten gerade über die Sprache ihrer Heimat näher gekommen sei. Der hohe Beamte konnte also sehr wohl seine Sprachebenen wechseln, ganz nach Bedarf, modern gesprochen war ihm die Fähigkeit des Code-switching in hohem Maße zu Eigen.
Auch die theoretische Auseinandersetzung mit Sprache im Allgemeinen und Mundart im Besonderen hat bei ihm durchgehend eine große Rolle gespielt, ob bei der Beschäftigung mit „Sitten und Sagen“, bei den sprachhistorischen Überlegungen zum Oberpfälzischen, bei der Auseinandersetzung mit Weinholds Grammatik und Schmellers „bairischen Mundarten“ oder bei der Sammlung und Kommentierung von Sprichwörtern.
Als Franz Xaver von Schönwerths am 24. Mai 1886 in München gestorben war – damit möchte ich jetzt noch nicht auf das Gedenkjahr 2011 vorausgreifen –, hat er nicht nur eine große Familie, sondern auch ein großartiges Werk hinterlassen. Schon kurz nach seinem Tod hat ein zeitgenössischer Gelehrter, Josef Nepomuk Sepp, der Sammler des Altbayerischen Sagenschatzes (1876), die künftige Bedeutung Schönwerths erkannt und eine wichtige Feststellung getroffen: Schönwerth, der Gelehrte, habe „sich ein bleibendes Denkmal gesetzt“.
Interessant ist, dass sich Schönwerth bei aller Bescheidenheit, dass er nämlich nicht absichtlich, sondern nur so nebenher und gelegentlich gesammelt habe (Sprichw. S. VI), zugleich auch der künftigen Bedeutung seines Sammelns bewusst ist; denn kurz nach der Bescheidenheitsfloskel in der Einleitung zu seinen Sprichwörtern, begründet er, warum er diese in der originalen Oberpfälzer Mundart gesammelt hat:
Ich thue dieses ferner darum, weil so die obpf. Mundart das erstemal zu einer größeren Darstellung kommt, zur Bereicherung der Kenntniss der deutschen Mundarten, nicht minder weil die künftigen Geschlechter mir Dank wißen werden, daß ich ihnen eine Urkunde über Denkweise und Mundart der Ahnen hinterlaßen. (Ebd., S. VI)
Diese lobende Feststellung Sepps und die optimistische Zukunftssicht Schönwerths, die von Anfang an ihre innere Berechtigung haben, erhalten allerdings erst nach und nach ihre äußere Rechtfertigung, denn ein entsprechender Erkenntnisprozess setzt allmählich ein, und die volle Bedeutung wird uns erst heute immer klarer. Wir sind weiser geworden.
Wenn Schönwerth auch beruflich in der Nähe des Königs tätig war und in dessen Gunst stand – immerhin wurden ihm Aufenthalte für seine Nachforschungen in der Heimat genehmigt und 1859 wurde ihm der persönliche Adel verliehen –, so stand er von Anfang an etwas zwischen den Fronten, oder man könnte auch sagen, er fiel durch ein bestimmtes Raster: Beruflich hatte er eine wichtige Position inne, während seine andere, volkskundliche Tätigkeit, das Sammeln und Publizieren, nicht gleichermaßen anerkannt, sondern mehr als Freizeitbeschäftigung angesehen wurde, denn auf diesem Terrain fehlte ihm die akademische Absegnung. Er musste alle Zeit, die ihm neben Beruf und Familie blieb, mühsamst dafür aufwenden, ja er führte geradezu ein ‚Doppelleben’, was ihn gesundheitlich wohl stark mitgenommen hat, während sich andere Zeitgenossen voll auf ihr Wissenschaftsgebiet konzentrieren konnten, wie etwa der sehr umtriebige Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl (1823–1897), der letztlich für den König schwerpunktmäßig auch nichts anderes machte, als „im Land Informationen über den Zustand der bayerischen Bevölkerung“ einzuholen (Leutheusser/Nöth 2010, S. 117), der aber schließlich Professor für Kulturgeschichte an der Münchner Universität und offizieller Begründer der Volkskunde wurde. Allerdings selbst er unter größten Schwierigkeiten, da man von Universitätsseite den vom König Protegierten in keiner Fakultät aufnehmen wollte!
Bei einer solchen Konstellation, die nicht nur Schönwerth, einen sozusagen ‚inoffiziellen’ Vertreter der Volkskunde, allein betraf, fühlt man sich an ein kleines satirisches Gedicht von August Graf von Platen erinnert, das dieser in München auf die Nebenbei-Dichter und Nebenbei-Gelehrten verfasst hat (Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns, III, 1931, S. 310):
Keiner gehe, wenn er einen
Lorbeer tragen will, davon,
Morgens zur Kanzlei mit Akten,
Abends auf den Helikon.
Also zum Sitz der Musen von Kunst und Wissenschaften!
Ein erstes wichtiges Denkmal für Schönwerth errichtet in der in München gegründeten ADB, der Allgemeinen Deutschen Biographie, 1891 Hyacinth Holland, der für den König eine Geschichte der altdeutschen Dichtung zu erarbeiten hatte und ebenfalls starke Unterstützung genoss. Er setzt hinter den Namen Schönwerth die Bezeichnung ‚Germanist’ und konstatiert: Schönwerth trat mit seinem Hauptwerk Aus der Oberpfalz – Sitten und Sagen und mit der Absegnung durch Jacob Grimm „plötzlich in die erste Reihe der Germanisten, wo er immerdar die gleiche Achtung und Werthschätzung behaupten wird“ (S. 323).
Mit der Wertschätzung sollte Holland auf Dauer Recht behalten, wenn sich auch die ursprüngliche fachliche Zuordnung als Germanist etwas verschoben hat; aber natürlich war Schönwerth auch das.
Was allerdings im Folgenden passierte, trug eher dazu bei, dass Schönwerth zunächst stark vernachlässigt und vergessen wurde. Während von nun an der Name des Volkskundlers Wilhelm Heinrich Riehl in jeder größeren Darstellung zur bayerischen Geschichte allgemein, zur bayerischen und Münchner Kulturgeschichte sowieso, fast immer vertreten ist, findet sich der Name Schönwerth so gut wie nie, selbst nicht in Spezialuntersuchungen zum Kreis um den Wissenschaftsförderer und Mäzen König Maximilian II., was sich noch bis ins Jahr 2010 fortsetzt.
Und wenn er einmal berücksichtigt ist, dann meist auch noch in missverständlicher und fehlerhafter Darstellung wie etwa 1987 im Handbuch der Literatur in Bayern, in dem nicht nur sein Geburts- und Todesdatum falsch angegeben ist, sondern in dem es auch heißt, sein Werk zeige wie das von Melchior Meyr ein „stolz-beharrendes Bauerntum“.
Nun habe ich schon einige Begründungen für die bisher sehr sporadische Rezeption Schönwerths genannt; aber es gibt natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Ursuchen.
Der romantische Dichter Adelbert von Chamisso, dessen Novelle Peter Schlemihls wundersame Geschichte und einige Balladen zum festen Schullesestoff im 19. und 20. Jahrhundert gehörten und der teils auch bis in die Gegenwart bekannt ist, nicht nur, weil ein Literaturpreis seinen Namen trägt, hat einmal zum Herausgeber eines Lesebuchs einen sehr inhaltsschweren Satz gesagt:
„Ich muß Ihnen danken, Sie haben mich zuerst in die Schule eingeführt; ich weiß, nun werde ich nicht vergessen.“
Einige Märchen und vor allem Sagen der Brüder Grimm tauchen bereits kurz nach Erscheinen ihrer Sammlungen, der Kinder- und Hausmärchen 1812/1815, der Deutschen Sagen 1816/1818, in Lesebüchern auf, nämlich um 1820 in Nürnberg. Sie treten einen Siegeszug ohnegleichen an und fehlen von da an in kaum einem Lesebuch, auch wenn sich die Rezeption weitgehend auf etwa 10 Texte konzentriert. Später wird auf der alleinigen Grundlage einiger Grimm-Märchen sogar der gesamte Unterricht ganzer schulischer Jahrgänge bestritten. Größere Popularität kann Literatur kaum erlangen.
Mit ihrer spezifischen Moralität – ich spreche dabei von einer eher „latenten Moral“, denn moralisch sind auch die Märchen in hohem Maße – verdrängen sie die moralisch penetranten Geschichten der Aufklärung in der Schule immer mehr.
Dieser Paradigmenwechsel, der sich hier vollzog, war in der Mitte des 19. Jahrhunderts, beim Erscheinen von Schönwerths Sitten und Sagen nicht mehr möglich, trotz des Lobs gerade durch Jacob Grimm.
Der Platz im öffentlichen Bewusstsein für das Märchen war weitgehend besetzt, auch wenn noch einige „Konkurrenten“ hinzutraten, wie etwa Ludwig Bechstein, dessen Märchen zeitweilig sogar noch mehr verbreitet waren als diejenigen der Brüder Grimm, oder eben der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen mit seinen ‚Kunstmärchen’ [und Schönwerths etwas jüngerer Zeitgenosse Richard von Volkmann-Leander mit seinen im deutsch-französischen Krieg entstandenen Märchen Träumereien an französischen Kaminen (1871)].
Es wäre nun völlig irrelevant, Schönwerths Werk rezeptionshistorisch auf dieser Linie sehen zu wollen (was manchmal fälschlich geschieht), denn bei den letztgenannten Namen handelt es sich weitgehend oder durchwegs um Verfasser von Märchen, und der Oberpfälzer war, auch wenn er sehr gut zu schreiben vermochte, eben nicht Schriftsteller, sondern Sammler, und das ohne allzu große Zutaten, wie ihm von Jacob Grimm bestätigt wurde.
Die Brüder Grimm, vor allem Wilhelm, waren beides, wie uns heute immer mehr bewusst wird; schließlich wurde von ihnen sogar schon im 19. Jahrhundert nicht immer nur von den Sammlern, sondern explizit von den Verfassern der Kinder- und Hausmärchen gesprochen und ihre dichterische Leistung in den höchsten Tönen gewürdigt. [Wie weit dieser Prozess des Umdenkens gediehen ist, zeigt sich am stärksten in Jens Emil Sennwalds Studie zur Poetik der Kinder- und Hausmärchen 2004; sie trägt den vielsagenden Titel Das Buch, das wir sind und belegt in diesem Fall eindrücklich die Affinität von Sammeln und Nachdichten bei den Brüdern Grimm.]
Und das ist der entscheidende Unterschied zu Schönwerth: Die Kinder- und Hausmärchen sind wohl gesammelt, aber – selbst von Auflage zu Auflage nochmals – so mundgerecht aufbereitet für Kinder und Erwachsene – was ja auch im Titel steckt –, dass man nur zugreifen musste und auch noch bis heute zugreifen kann.
Und erst in diesem Zusammenhang wird auch das vielzitierte Lob Jacob Grimms für Schönwerth, dass „nirgendwo in ganz Deutschland […] umsichtiger, voller und mit so leisem Gehör gesammelt worden“ sei, ganz verständlich. Ich deute diesen wichtigen Satz als aufrichtiges Lob durch den damals schon berühmten Wissenschaftler, lese aber zugleich ein leises Bedauern heraus, dass man es – vor allem im Hinblick auf den Bruder Wilhelm – nicht selbst bei größerer Authentizität des gesammelten Materials belassen habe, was freilich bei dem überwältigenden Erfolg der Märchen zu verschmerzen war. Andererseits war das Lob Jacob Grimms für Schönwerth auch nicht ganz uneigennützig, worauf vor allem Daniel Drascek verweist, da er in ihm einen wichtigen Gewährsmann für die eigenen germanisch-mythologischen Deutungen sah.
Dieses bis heute vielzitierte Lob war aber letztlich auch kein entscheidendes Movens für die Schönwerth-Rezeption. Jacob Grimm weist damit intuitiv sogar auf die entscheidende Barriere hin, denn das von Schönwerth ‚unverfälscht’ Herausgegebene und Kommentierte eignet sich eben weniger für eine unmittelbare Übernahme in Anthologien und Lesebücher, also für den ‚Hausgebrauch’, schon gar nicht über die Oberpfalz bzw. Bayern hinaus. Hatte schon sein Hauptwerk Aus der Oberpfalz – Sitten und Sagen verlegerisch nur geringen Erfolg, so finden sich auch nur sehr selten kürzere Auszüge daraus in Schullesebüchern oder anderen Textsammlungen.
Worin Schönwerth vereinzelt auftaucht, sind volkskundlich-literarische Sammlungen zur Oberpfalz. In dem vom Bezirkstag 1982 herausgegebenen Band über die Oberpfalz würdigen Adolf Eichenseer und Roland Röhrich Schönwerth entsprechend, und Eberhard Dünninger zitiert in seiner „Literarischen Entdeckungsreise durch zwölf Jahrhunderte“ [„Kern Teutschlands, Oberpfalz, dein Ruhm hat mich entbrannt“] (1992) mehrfach aus Schönwerths Sitten und Sagen. In einem umfangreichen Bayerischen Hausbuch von 1981 findet sich die kurze Geschichte Die große Rübe in der Variante von Schönwerth.
In der früheren didaktischen Literatur habe ich nur eine einzige auffällige Stelle entdeckt, die aber anscheinend auch keine Breitenwirkung ausgelöst hat, und zwar in einem Standardwerk für Lehrer von 1927, also in einer Zeit, als die Richtung der sog. ‚Deutschkunde’ besonders wirksam war. Wilhelm Ledermann und Joseph Prestel bieten in ihrem Werk Die deutsche Sage im Unterricht. [Stoffe und Erläuterungen zum vorbereitenden Geschichtsunterricht nach der Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen (München, Berlin: Oldenbourg 1927)] immerhin eine Variante der Sage vom Riesenspielzeug, die hier am Rauhen Kulm angesiedelt ist. Allerdings scheint Schönwerth in diesem Buch noch öfter mit Oberpfälzer Sagen vertreten zu sein, etwa zum Bilmesschneider und zu den Holzfräulein, allerdings indirekt, nämlich unter der Verfasserschaft von Ferdinand Benz. Bei den Quellenangaben heißt es im Anschluss an Schönwerths Aus der Oberpfalz (S. 232): „Geschickt ausgewertet und bereichert bei: Ferdinand Benz, Rauhnacht in der Rockenstube“ (Leipzig: Dieterich).
Nun kann ich hier natürlich nicht darauf eingehen, was dieser Ferdinand Benz als Erzähler aus dem gesammelten Material im Einzelnen gemacht hat, aber dieses Beispiel zeigt doch die ganze Problematik der Schönwerth-Rezeption, die sich allerdings gerade seit den 1920er Jahren allmählich ändert, vor allem durch die Aktivitäten einzelner Personen, denen die große Leistung des Oberpfälzer Volkskundler klar geworden ist.
Ich erinnere nur an die Märchen-Ausgabe Die Rübenprinzessin des Oberlehrers Johann Baptist Laßleben von 1922, die Ausgabe von Texten aus dem Nachlass durch Karl Winkler, zuerst 1935 im Verlag Laßleben, Kallmünz, dann nochmals 1959 mit den Illustrationen von Matthias Prechtl.
Überhaupt sind es – so wie auch in diesem Jahr – üblicherweise die Gedenkjahre, in denen man die Gelegenheit nutzt, auf den Jubilar aufmerksam zu machen. Im selben Jahr, 1959, wurde für Franz Xaver von Schönwerth ein Denkmal errichtet.
Zu denen, die sich große Meriten um Schönwerth erworben haben, gehört zweifellos Roland Röhrich, mit seiner Dissertation, seinem Schönwerth-Lesebuch (1981) und vielem anderen.
Für eine echte Breiten- und Langzeitwirkung ist aber die Schule das entscheidende Podium, wie ich zu zeigen versucht habe und worauf auch schon Karl Winkler hingeweisen hatte, denn für ihn sind die „oberpfälzischen Schulstuben“ die erste Anlaufstelle. Dies wird zum ersten Mal richtig im Gedenkjahr 1986, im 100. Todesjahr Schönwerths, genutzt, indem das mit didaktischen Materialien versehene Leseheft Oberpfälzische Sagen und Märchen von Erika Eichenseer und Roland Röhrich erscheint. Zahlreiche Aktivitäten folgen, wie Peter Staniczek in seinem Beitrag Volkskunde im Unterricht. Die oberpfälzischen Sagen der Sammlung Schönwerth in der Zeitschrift Schönere Heimat nachweist (77, 1988, So.-H. 6, S. 54).
Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts beginnt vielversprechend mit der bibliophilen Sammlung Der rote Zwerg – zwölf unbekannte Märchen aus der Oberpfalz, von Franz Anton Niedermayr herausgegeben und von Irmingard Jeserick illustriert, und endet vorläufig mit der preisgünstigen Gesamtausgabe von Schönwerths Sitten und Sagen in einem Band durch Harald Fähnrich und dem aktualisierten Leseheft für die Schule Sagen und Märchen aus der Oberpfalz von Erika Eichenseer. Der zusätzliche Einsatz anderer Medien, etwa der Hörbuch-CDs Sagengelichter der Oberpfalz (2006) des Ehepaars Sander, aber auch die reichliche Berichterstattung, etwa in der Mittelbayerischen Zeitung, werden ihre weitere Wirkung tun.
Wir sollten uns freilich darüber im Klaren sein, dass wir heute irgendwie dasselbe tun wie damals schon Schönwerth. So wie er mit der Sammlung und Herausstellung des spezifischen sprachlichen und kulturellen Gutes seinem Heimatraum, der Oberpfalz, eine erkennbare Identität verleihen wollte, so unterstützen auch wir heute genau diesen Prozess, nur ist für uns der Sammler Schönwerth das geeignete Medium, um diese Identitätsbildung zu erreichen. Das meine ich ganz im positiven Sinn, denn die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft kann nur auf Grundlage von Traditionspflege richtig gelingen.
Deshalb gratuliere ich Franz Xaver von Schönwerth nicht nur zum 200. Geburtstag, sondern auch zu seinen wohlverdienten Geschenken: Wirkungsvoller, als es zur Zeit geschieht, kann man seine Verdienste nicht würdigen. Das meine ich zum einen bezogen auf die Vielfalt der Aktivitäten, ob Erzählabende, Theateraufführungen, Gedenkfeiern oder wissenschaftliche Veranstaltungen, wie das vor wenigen Wochen vom Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft der Universität Regensburg durchgeführte Symposium.
Das meine ich aber auch regional, denn der Aktionsraum erstreckt sich von der nördlichen Oberpfalz, von Waldsassen, Bärnau, Neustadt a. d. Waldnaab, Markt Waldthurn und Neuenhammer über Furth, Neukirchen b. Hl. Blut, Freudenberg, Velburg, Neusath-Perschen und Schwandorf bis in den Süden nach Regensburg und letztlich bis nach München.
Natürlich bemüht sich gerade Amberg seit längerem, den wichtigen Sohn der Stadt entprechend zu würdigen, mit dem Namen der Realschule, mit Veranstaltungen verschiedenster Art, mit Ausstellungen, wie der heute eröffneten, mit schulischen Projekten, wie Schönwerth-Führungen durch das „sagenhafte“ Amberg oder die Anlage eines Schönwerth-Gartens usw. Und wenn wir die heutige allseits greifbare Präsenz Schönwerths in dieser Stadt betrachten, dann können wir von einem fast einmaligen Vorgang sprechen.
Ich wollte eigentlich in der Zeitschrift Märchenspiegel, Heft 1, 2010, das schwerpunktmäßig Schönwerth gewidmet war, das Jahresprogramm an Schönwerth-Veranstaltungen für die Oberpfalz abdrucken. Aber das war utopisch, es hätte den Umfang des Heftes völlig gesprengt.
Dass es zu einer solchen einmaligen Fülle im Gedenkjahr 2010 – und hoffentlich auch darüber hinaus – kommen konnte, ist weitgehend das Verdienst der im letzten Jahr gegründeten Schönwerth-Gesellschaft mit Dr. Wolfgang Kunert als Präsidenten, dem Ehepaar Eichenseer und vielen anderen, die ihr Bestreben in den Dienst dieser wichtigen Sache stellen.
In Anbetracht dieser Fakten fragt man sich: Bleibt denn da überhaupt noch etwas zu tun?
Selbstverständlich: Erinnerungskultur muss durchgehend gepflegt werden, wenn wir die Schätze Schönwerths bewahren und für die Zukunft fruchtbar machen wollen, trotz der hervorragenden Erfolge in den letzten Jahren und vor allem in diesem Gedenkjahr.
Machen wir also weiter! Wir sind weise geworden.