Der Höydl

Ein böser Räuber und Mörder hatte die Angewohnheit, nach jeder Untat eine Kerbe in seinen Stecken zu schnitzen. Gegen Ende seines Lebens war fast kein Platz mehr auf dem Stecken, und er begann, sich seiner Sünden zu besinnen. Ein Einsiedler kam in den Wald, den bat er, ihn von seinen Sünden los zu sprechen. Doch der sagte: Dein Maß ist so voll, von diesen Sünden kann ich nicht mehr frei sprechen. Der Höydl war sehr betrübt und sagte: Was muss ich tun, um doch noch die Gnade Gottes zu erlangen? - Du musst dein Kerbholz in den Boden stecken und kniend davor beten. Wenn das dürre Holz austreibt und Blüten und Frucht trägt, dann bist du erlöst, sonst nicht. Der Einsiedler ging fort, und der Höydl tat, wie ihm geheißen.

Nach vielen Jahren kam der Einsiedler wieder in diesen Wald. Da fand er einen blühenden Apfelbaum, und davor kniete der Höydl mit zum Gebet erhobenen Händen. Der Einsiedler rief ihn an, ohne Antwort, dann berührte er ihn an der Schulter: He Höydl, schau, du kannst aufstehen, du bist erlöst! - Da zerfiel der leblose Körper in Staub, und eine weiße Taube erhob sich aus seiner Brust.

 

In: Prinz Roßzwifl, S. 231