Prinz Roßzwifl

Ein armes Mädchen hatte eine kranke Mutter, für die es ganz schnell zum Doktor laufen wollte. Im Sprung über eine große Steinplatte im Gang rutschte sie aus und hätte beinahe einen Roßzwifl, einen Mistkäfer, zertreten. Voll Schmerz über den verrenkten Fuß klagte sie: "Wer wird jetzt zum Doktor laufen, ach, und meine Mutter stirbt!" "Setz' dich auf mich, brummte der Käfer." Das Mädchen erschrak über die fremde Stimme sehr und weinte noch mehr. Auf einmal brauste der Käfer unter ihr auf, er streckte seine Flügel aus und hob sie und trug sie wie der Blitz zum Doktor und zum Apotheker und wieder heim zur kranken Mutter. "Du musst dein Rösslein auch füttern", sagte diese zur Tochter, als sie Brot aß und Wasser trank. "Ja, wo ist es denn hingekommen, mein Rösslein", sagte das Mädchen und schaute sich überall um und auch zum Fenster hinaus. Da sah es über querfeldein einen Reiter heransprengen.

"Ach, das ist der blaue Prinz", rief die Mutter, als hätte sie einen alten Bekannten wieder gesehen. Gleich flog auch die Tür auf und der Prinz trat ein, jung und glänzend und schön. Voll Freude begrüßte er die Mutter, dann schaute er zu dem Mädchen, reichte ihr die Hand und sagte: "Du hast mich erlöst, und dafür danke ich dir mit allem, was ich habe." Das Mädchen schaute ungläubig zu dem Prinzen und zur Mutter und fürchtete sich auch vor dem fremden Mann. Doch der erzählte seine Geschichte:

"Seit vielen Jahren, mehr als Bäume im Wald stehen, liege ich nun als Käfer in Staub und Unrat, zertreten, zerfahren, gepeinigt, geschunden, weil ich den Tieren dasselbe angetan habe, als ich noch ein Junge war. Zur Strafe bin ich verwandelt worden und musste leiden wie sie. Du aber hattest Mitleid mit mir, dem unbedeutenden Mistkäfer, und damit hast du mich erlöst. Ich bitte dich, Mutter, um die Hand dieses Engels, der mich erlöst hat!"

Das Mädchen wurde ganz blass, und Mutter und Tochter waren sehr gerührt.

Da stieß der Prinz das Fenster auf und blies ins Horn. Die Berge trugen den Hall weit über die Wälder und daraus zurück rollten Wagen und Pferde, der Hofstaat des Prinzen. Darüber wurde die kranke Mutter gesund, und ihre Tochter, wieder rosig und schön, willigte mit Freude in das Angebot des Prinzen ein.

Bald wurde Hochzeit gehalten, wobei die Mücken geigten, die Vögel sangen, und alle, die Füße hatten, Groß und Klein, tanzten und sprangen.

In: Prinz Roßzwifl, S. 108