Des Windes Heulen

(Text in Originallänge, nur wenig an die heutige Sprache von Erika Eichenseer angepasst)

Ein Förster war gestorben und sein Sohn durfte nach dem Willen des Dienstherrn die Nachfolge nicht antreten. So ging er fort und suchte nach Arbeit und Unterkunft. In einer Wildnis verirrte er sich, hungrig aß er sein letztes Stücklein Brot. Nun wurde er durstig und suchte nach einer Quelle.

Er findet einen schmalen Fußweg, folgt ihm und kommt zu einem Brunnen, aus dem gerade eine wunderschöne Frau Wasser schöpft. Freundlich bietet sie ihm einen Trunk an, dann fragt sie ihn, woher er komme und wohin er gehe. „Ich suche einen Dienst irgendwo in der Fremde!" - „Den kannst du bei mir haben", antwortet die Schöne und lädt ihn ein, in ihr Haus am Brunnen zu kommen.

Er bleibt und bald schon erwächst aus der anfänglichen Bewunderung Liebe. Die beiden finden zusammen und halten Verlobung. Doch stellt sie ihm zuvor eine Bedingung: „Du darfst an keinem Donnerstag nach mir sehen oder fragen."

Er stimmt zu und achtet auf diese Bestimmung fast vierzehn Jahre lang. In dieser Zeit hat sie ihm sieben Kinder geboren, lauter Buben.

Zuletzt aber, noch ist das vierzehnte Jahr nicht um, kann er seine Neugierde, was denn nun das Geheimnis seiner Frau sei, nicht mehr zügeln. An einem Donnerstag nähert er sich und späht durch das Schlüsselloch in ihr Gemach. Da sieht er sie in einer großen Badewanne sitzen, doch ihre untere Hälfte hat die Gestalt eines Fisches. Entsetzt wendet er sich ab.

Als sie sich ihm des andern Tags voll Liebe nähern will, stößt er sie zurück. „Mit einem Drachen kann und will ich nicht leben!" Da weint sie bitterlich. „Ach, hättest du doch noch die kurze Zeit ausgehalten und Geduld gehabt, bis die zweimal sieben Jahre vollendet gewesen wären, dann hättest du mich erlöst! Meine Mutter hat mich einst verwünscht. So aber muss ich bis an den jüngsten Tag in der Luft herumfliegen. Des Windes Heulen wird meine Stimme sein, der wirbelnde Staub meine Speise, meine Tränen mein Trank."

Voll Erbarmen und Reue will er sie, die fliehen muss, halten, doch sie entweicht ihm und erhebt sich in die Lüfte.

Lange flog sie immer ums Haus herum.

An jedem der sieben Fenster saß einer ihrer Söhne, zu diesen weinte sie hinein, um von ihnen Abschied zu nehmen, und die Kinder wimmerten heraus, bis sie eines nach dem anderen aus dem Fenster zog und voller Schmerz an sich drückte.

Ihre Stimmen hören wir seitdem als feine Klagelaute, wenn der Wind ums Haus fegt, an Erlösung ist aber nicht mehr zu denken.

Dümpfel SSO II S. 194