Die verwunschene Krähe

(Text in Originallänge, nur wenig an die heutige Sprache von Erika Eichenseer angepasst)

Auf einer Wiese saß ein Reiter zu Pferd und schlief. Da kam eine Krähe und pickte ins Pferd, daß es ausschlug und den Reiter weckte. „Was zwickst du mein Roß?“ schrie der Reiter. „Damit du einmal erwachst“, sagte die Krähe, „denn du schläfst schon drei Jahre hier!“ Der Reiter merkte an seinem ellenlangen Bart, daß dem so sei, und sprach zur Krähe: „Sage mir, wie kann ich dir danken?“ „Dadurch, daß du mir eine von deinen drei Schwestern gibst“, sagte die Krähe. „Hier hast du mein Bild.“

Der Reiter kam heim und zeigte den Schwestern das Bild. Die erste rümpfte die Nase. Die andere schrie: „Nein!“ Die Jüngste errötete, nahm das Bild und ging. Da kam ein prächtiges Viergespann. Die Schwestern meinten schon, es sei ein Prinz, und liefen herbei. Als aber nur eine schwarze Krähe ausstieg, kehrten sie um, und nur die Jüngste empfing den Besuch. Die Krähe lud aber doch alle drei ein, sie auf ihr Schloß zu begleiten. So fuhren sie fort durch einen düstern, finstern Wald, und sie meinten schon, es ginge geradeaus in die Hölle. Bald ward es aber wieder hell, und es ging durch einen Zitronenwald und in ein schönes Schloß. Hier sagte die Krähe zu den beiden Schwestern: „Seid beileibe nicht neugierig!“ und ging mit der Jüngsten in ein anderes Zimmer. Die zwei Schwestern aber schlichen ihnen nach und guckten durchs Schlüsselloch. Sie sahen einen schönen jungen Mann bei ihrer Jüngsten am Tische sitzen.

Den Augenblick war alles verwandelt. Sie standen alle drei unter einer Tanne. Die Krähe krächzte aus den Zweigen: „Nur die Jüngste kann noch helfen, wenn sie als Magd in Lumpen zur Stadt geht und einen Dienst nimmt, der ihr angeboten wird!“So ging sie in Lumpen zur Stadt und wurde vom Büttel fortgeschafft. Es kam aber ein Schreiber und fragte, ob sie dienen wolle, kochen und putzen könne? Und er führte sie zu einem Fürsten in Dienst. Da zeigte sich bald, daß sie von allem gar nichts verstand. Die Speisen waren verbrannt, das Silbergeschirr noch schmutziger als zuvor. Gärtner, Jäger und Lakai höhnten sie und taten ihr Schimpf und Spott an.

Darüber weinte sie bitterlich. Es kam aber die Krähe ans Fenster geflogen, reichte ihr den Flügel hin und sagte: „Reiße mir eine Feder aus, und was du damit schreibst, daß es werde, soll geschehen.” So kam es zum Mittag, und sie schrieb die allerbesten Speisen. Es kam das Tafelgeschirr, und sie schrieb den funkelnagelneuesten Glanz. Das gefiel dem Fürsten und der Fürstin wohl, und sie bekam jetzt die allerschönsten Kleider und war auch so schon schön von Gestalt und Ansicht.

Darüber ward zuerst der Gärtner zahm. Er hätte jetzt die Köchin gerne gehabt. Er schlich zu ihrer Kammertür und guckte hinein. Und als sie gar nicht böse tat, lief er auf sie zu. Sie aber sagte: „Schließe doch die Kammertür!“ Und als er sich umwendete, schrieb sie flugs: „Ich wollte gleich, er müßte die ganze Nacht die Tür auf- und zumachen.“ Und so geschah es auch. Am hellen Morgen schlich der Gärtner beschämt von dannen.

Des andern Abends kam der Jäger. Sie lag schon in ihrem Bette. Er bückte sich und zog seine Stiefel aus. Da schrieb sie. „Ich wollte gleich, er müßte die ganze Nacht seine Stiefel an- und ausziehen.“ Und das mußte er auch tun. Voll Ärger ging er am hellen Morgen fort.

Am dritten Abend kam der Lakai, der Taubennarr mit krummem Hals vom ewigen Schauen nach den Tauben. Er guckte ihr verliebt in die Augen und bat um ihre Gunst. Da fiel ihm ein, daß der Taubenschlag noch offen, und er bat, zuvor dahin gehen zu dürfen. Sie nickte lachend und schrieb: „Ich wollte gleich, er müßte die ganze Nacht den Taubenschlag auf- und zumachen.

“So brachte sie die Freier an. Sie kamen aber auf den Einfall, ihre Schmach zu rächen, schnitten drei Hexenruten und standen damit an, die Köchin durchzupeitschen. Sie merkte dies und schrieb: „Ich will, daß sie sich selber karbatschen.“ Und so geschah es. Derweil kam der Fürst dazu und bekam die allermeisten Schläge; die Fürstin auch und Kind und Kegel durchs ganze Land.

Da war es Zeit! Es kam die Krähe und fuhr als Prinz mit der schönen Köchin heim.

(Neuenhammer)
(Nachlass 202 044)