„Sonne und Mond sind Weib und Mann. Als sie Hochzeit hielten, that der Mond, der stets als etwas kalt und langweilig gilt, in der Brautnacht der feurigen begehrenden Braut nicht zur Genüge: er hätte lieber geschlafen. Das verdroß die Sonne und sie schlug dem Manne eine Wette vor, daß, wer von ihnen zuerst erwachen würde, das Recht haben solle, bey Tage zu scheinen: dem Trägen gehöre die Nacht. Würden sie beyde zugleich wach werden, sollten sie fortan nebeneinander am Himmel glänzen. Da lachte der Mond gar einfältig vor sich hin: er ging die Wette ein, weil er nicht glauben wollte, daß er verlieren könne, und lachend schlief er ein. Davon hat er das Lachen behalten. Die Sonne aber ließ der Aerger nicht lange ruhen; schon vor zwey Uhr wach, zündete sie der Welt das Licht auf und weckte den frostigen Mond, und hielt ihm ihren Sieg vor und zugleich die Strafe, daß sie nun nie mehr eine Nacht mitsammen verbringen würden.
Darum habe sie die Wette gesetzt und mit einem Eide bekräftiget, daß sie gebunden sey und nicht schwach werden könne. Seitdem leuchtet der Mond bey Nacht, die Sonne bey Tag.
Die Sonne aber reute bald der Schwur, den sie in der Hitze des Zornes gethan; sie liebt ja den Mond. Und auch dieser fühlt sich immer zur Braut gezogen: er hielt ja die Wette für Spiel, für Neckerey, und Scherz war es, daß er sich so kalt gezeigt. Daher möchten sich beyde gar gerne wieder vereinen. Sie kommen sich auch öfter näher und treffen manchmal zusammen; es ist dieses die Zeit der Sonnenfinsternisse. Weil sie aber mit gegenseitigen Vorwürfen beginnen, keines die Schuld der Trennung tragen will, so gerathen sie hintereinander zum Streite; doch keines wird Herr. Die Zeit, welche ihnen zur Versöhnung geboten ist, läuft ab, und es kommt die Stunde wieder, wo die Sonne ihrem Schwur gemäß wandern muß. Blutroth von Zorn macht sie sich auf den Weg. Hätten sie nicht gestritten, wären sie vereiniget worden. Bis der Zorn sich legt, vergeht wieder geraume Weile, erst eine neue Finsterniß zeigt an, daß sie sich wieder getroffen. Aber immer wieder wird diese Zeit nicht benützt.
So ist die Sonne immer heiß vor Liebeszorn: manchmal aber, wenn sie so allein wandelt, sieht sie ihr Unrecht ein: dann weint sie blutige Thränen und geht blutroth unter.
Aber auch der Mond empfindet Trauer und Leid, daß er zur Sonne nicht kann; darum nimmt er ab, bis er zur kleinsten Sichel wird; wird er nach und nach voll, so hofft er; ist er aber voll, sieht er sich getäuscht und nimmt wieder ab. - Von seiner unglücklichen Liebe ist er weich gestimmt: daher sein Licht so mild und melancholisch. Daher klagen ihm auch unglücklich Liebende ihr Leid.“