Schönwerths Märchen



1. Wusstest Du?

  • … dass Schönwerth ausschließlich aus der damals noch reichen mündlichen Überlieferung geschöpft hat? 

  • ... dass er in der Oberpfalz “Weiber und Weber” nach Erzählungen gefragt hat und in München die ausgewanderten einfachen Bediensteten, wie “Kocherl”, “Hausl”, Fuhrknechte, Kindermädchen usw? 
  • ... dass Franz Schönwerth, der gebürtige Amberger, 1864 der Generalsekretär von König Maximilian II von Bayern wurde und bis zu seinem Lebensende blieb? Er ist im Alten Nördlichen Friedhof in München 1886 begraben worden.
  • ... dass der König ihm als Anerkennung für seine hervorragenden Leistungen “das Ritterkreuz des Verdienstordens der Bayerischen Krone” und den Namenszusatz “von” verlieh? Seitdem hieß er Franz Xaver von Schönwerth. 
  • ... dass die Brüder Grimm die höchste Hochachtung für Schönwerth und seine Arbeit  hatten: “Nirgendwo in ganz Deutschland ist umsichtiger, voller und mit so leisem Gehör gesammelt worden” (Jacob Grimm (1785 - 1863).
  • ... dass Schönwerths dreibändiges immenses Sammelwerk “Aus der Oberpfalz - Sitten und Sagen” (1857/58/59) und der weitaus größere ungedruckte Nachlass zu den “bedeutendsten Beständen ihrer Art im deutschsprachigen Raum gehören? (Prof. Dr. Daniel Drascek, Lehrstuhl für vergleichende Kulturwissenschaften der Universität Regensburg) 
  • ... dass sich die 2009 gegründete“Schönwerth-Gesellschaft” zum Ziel gesetzt hat, diesen Schatz gerechter zu beurteilen, zu bewerten und bekannt zu machen? Auf Anregung vom 1.Präsidenten dieser Gesellschaft, Dr. Adolf Eichenseer und seiner Frau Erika, fanden Vorträge, Lesungen, Lehrgänge, Musicals und Theateraufführungen sowie Schulprojekte statt, daneben erschienen zahlreiche Publikationen. 

Einfache Märchen für kleinere Kinder


3. Was zeichnet Schönwerths Märchen aus?

Interview mit Erika Eichenseer

Was zeichnet die Märchen von Franz Xaver Schönwerth aus?
Sie sind weitgehend unbekannt, deshalb umso interessanter.
Sie folgen nicht Stereotypen: statt einfältiger, nur schön-schöner  Prinzessinnen erscheinen tapfere Frauen, Kämpferinnen, Heldinnen „voll Wildheit und Energie“, statt heldenhafter Haudegen finden wir verletzliche junge Männer, die sich verantwortungsvoll ihren Aufgaben stellen.

Wie viele Märchen haben Sie schon gesammelt und in welchem Zeitraum?
Schönwerth hat gesammelt, nicht ich. Bei ihm und seinen Sammlerfreunden handelt es sich um echte mündliche Befragung von Menschen aus der Region, mühsame Aufzeichnung aus den meist in nordbairischem Dialekt erzählten Geschichten, Übertragung ins Schriftdeutsche, Korrekturen der Fehlstellen usw. Es ist eine Verschriftlichung der mündlich erzählten Märchen entstanden in der Sprache, Manier und dem Geschmack des 19. Jahrhunderts.
Sprache verändert sich, heute erzähle und schreibe ich in einer anderen Sprache, anderer Manier, und so entstehen zeitgenössische Sprachwerke auf der Basis der alten Geschichten in engem Zusammenhang mit den Originalen.

Was bewirken Schönwerths Märchen bei Ihren Zuhörern?
Ich kann es nicht anders sagen: ganz gleich, wie alt, gebildet, klug mein Auditorium ist, die Aufmerksamkeit ist immer 100%, die Umgebung versinkt, Bilder entstehen, sie gehen die Wege mit den Protagonisten mit allen Gefahren und Glücksmomenten. Eine wunderbare Erfahrung, wie gegenwärtig die Kraft der Märchen auch heute noch ist.

Sind das nur Märchen für Erwachsene oder können auch Kinder etwas damit anfangen?
Für mich ist die Kombination von Märchen und Kindern in dieser Ausschließlichkeit einfach falsch. Einfache Geschichten für die Kleinen sind sehr dünn gesät, Schulkinder erfassen nur eine gewisse Bewußtseinsschicht. Bei der Pubertät beginnt es interessant zu werden, wenn sich Körper und Seele und Geist verändern – müssen. Viele Mütter wiederholen den alten Vorwurf der Grausamkeit in den Märchen ohne nachzudenken, dass diese Vorgänge Bilder sind, die junge Leute durchaus lesen können, Erwachsene nicht mehr.

Das ist das Wunder der Märchen, dass sie tiefenpsychologisch so reich und fein gezeichnet sind, dass sie Hilfe geben können, wenn aus Kindern Erwachsene werden, dass am Ende alle Herausforderungen dazu führen, dass der junge Mensch Erfahrungen sammelt, die ihn in seinem zukünftigen Leben stark, glaubwürdig, ja weise machen.

Wie viel Oberpfälzer Mentalität ist in den Märchen zu spüren und wie würden Sie diese Mentalität beschreiben? Was kommt in den Märchen besonders zur Geltung?
Am meisten Oberpfälzisches kommt in den Schwänken heraus, wo Bauernschläue und gesunder Menschenverstand, gepaart mit einer gehörigen Portion Humor die Geschicke leiten.

In den Petrusgeschichten, diesen archaischen, skurrilen Wanderungen des Herrn Jesus, dem Gott, der alles sieht, versteht, verzeiht, und dem oberpfälzischen Bauern als Petrus, der so gerne isst, trinkt, musiziert, rauft. Diese ungleichen Brüder spiegeln die Mentalität der Region in messerscharfer Manier wider. Ein besonderes Vergnügen, diese winzigen Geschichten zu lesen  

Was hat Sie auf die Idee gebracht, zunächst die Schauermärchen und nun die Liebesmärchen zusammenzufassen?
Michael Volk vom gleichnamigen Verlag hat den Wunsch geäußert, die dunkle Jahreszeit 2017 mit Schauergeschichten anzureichern. Gerne habe ich diesem Wunsch entsprochen.
Auch die Liebesmärchen sind „Auftragsarbeit“, vom Verlag zuverlässig und mit feinem Gespür begleitet.

Wie sind Sie vorgegangen? War die Auswahl groß oder überschaubar?
Ich habe in den vielen Jahren meiner Beschäftigung mit Schönwerth einen großen Fundus an erzählbaren Märchen angesammelt. Sie und die Stichwortsuche in den Aufzeichnungen des Marburger Zentralarchivs haben mir das nötige Material geliefert. Ein schier unerschöpflicher Schatz!

Zu den Liebesmärchen: Würden Sie Schönwerth als Romantiker bezeichnen?
Nein, er war Forscher und Sammler und immer auf die Authentizität der Quellen bedacht: „Was ich nun in vorliegendem Werke biete, behandelt lediglich das Stillleben. Ich habe es vom Munde des Volkes weg geschrieben und mich bemüht, die natürliche Einfachheit in seinen Mittheilungen beyzubehalten. Nicht im Bauernkittel, aber auch nicht in Ballhandschuhen, sondern im ländlichen Sonntagsstaate soll erscheinen, wie das Volk denkt und spricht.“ (Sitten und Sagen I-37)

Vielleicht könnte man die Legenden als romantisch religiös überhöht bezeichnen, wenn vielleicht fromme Priester die ursprünglichen Märchen zur Katholisierung der „Heiden“ verändert haben. Das war aber lange vor den Aufzeichnungen von Schönwerth.

Was charakterisiert Schönwerths Liebesmärchen?
Dass den jungen Frauen eine mutige, tragende Rolle zugedacht ist, dass Mädchen durchaus Geschicke klug lenken können, dass die Männer dem praktischen Verstand der Frauen nachgeben, dass das Leben in einer achtungsvollen Zweisamkeit zum Glück führt, das viele Jahre dauert.

Wie haben Sie die Originale bearbeitet? Mussten Sie völlig neu formulieren? Was war Ihnen dabei wichtig?
Ich habe die Originale sehr vorsichtig bearbeitet, wie ich sie in unserer Umgangssprache mündlich erzählen würde. Wie auch bei Schönwerth immer wieder zu finden, habe ich die Erzählzeit angepasst, so dass sich die normale Erlebnisebene von den zauberischen Veränderungen abhebt. Dabei spielen Tempo und Tonfall des Erzählers eine große Rolle.

Ich habe zu lange Passagen gerafft und zu kurze logisch verlängert. Man muss sich die einfachen Leute vorstellen, die diese Geschichten aus der Erinnerung geholt haben, manches vergessen, manches verdreht oder ausgelassen haben. Ein Märchen muss alle Inhaltsbezüge lösen, sonst ist der Hörer nicht zufrieden. Eine große Hilfe war dabei die redaktionelle Beraterin des Verlags in der Person von Martina Dolhaniuk. Ich habe ihr die doppelten Texte geschickt: Original und Bearbeitung, und sie hat mit großem Feingefühl die bessere Bildhaftigkeit aus den beiden Versionen herausgefunden.

Wie ging die Auswahl bei den Schauermärchen vonstatten?
Ohne Bedenken haben wir die Gänsehaut-Passagen belassen, nicht entschärft. Diese Geschichten leben von den Ungeheuerlichkeiten, und die Leser wollen sich doch gruseln, oder?

Der dritte Band handelt sich von Waldmärchen. Was kann man sich darunter vorstellen?
Schönwerth schreibt in seinem ersten Band „Sitten und Sagen“ 1857: „Außerdem leidet die Oberpfalz empfindlichst an den Folgen des Vandalismus, mit welchem man vor fünfzig Jahren gegen alles was Wald hieß, zu Felde zog. Kultur war das Losungswort. Heut zu Tage scheint man durch ganz Deutschland einen förmlichen Kreuzzug gegen das Wasser in Teich und Weiher und See zu organisieren: die Folgen werden noch fühlbarer werden.“ (SSO I-18f.)

„Nichts straft sich schneller, als Sünde wider die Natur.“
Kann man die Sorge um die Natur noch deutlicher ausdrücken? Das war vor 160 Jahren schon die Beobachtung eines aufmerksamen Zeitgenossen. Hat sich etwas verändert? Verbessert? 

Viele der Schönwerth’schen Märchen spielen im Wald, doch ist es hier nicht der drohende, verschlingende Wald, in dem menschenfressende Wölfe ihr Unwesen treiben, sondern der beschützende Freund, in dem zauberische Wesen weben: die gutartigen Holzfräulein, das goldene Hirschlein, die Zwerge, die bei Friedensstörungen ganz schön garstig werden können.

„Baum und Wald waren den Germanen heilig. Von der Verehrung der Bäume haben sich in den Oberpfalz manche Nachklänge erhalten. Man schreibt den Bäumen sogar eine Art Persönlichkeit zu.Noch jetzt bitten die Holzarbeiter um Neuenhammer den schönen gesunden Baum um Verzeihung, ehe sie die Axt an ihn legen, um ihm das Leben abzuthun, und der Baum seufzt und blutet, wenn er umgehauen wird; stöhnend stürzt er zu Boden: denn ungern lässt er das Leben.

Wenn der Wind durch die Baumkrone zieht, so neigt sie sich und beginnt zu sprechen. Die Bäume verstehen sich. - Die Wälder singen, wenn die Luft durch sie streicht.“ {II-335} 

Welche Bedeutung haben Märchen – für Kinder? Für Erwachsene?
An der lang anhaltenden Welle der Fantasy-Produktionen, sei es als Buch oder Film zeigt sich das ungebrochene Interesse der Menschen an diesen fantastischen Geschichten. Ich bevorzuge die Urfassung ohne Aufgeilung und Reizüberflutung. Kinder lieben Märchen, und es gibt immer noch Familien, in denen am Abend vor dem Einschlafen Geschichten erzählt werden. Erzählt!

Die Erwachsenen sind eigentlich immer, wenn man gut erzählt, Kind genug, die Märchen aufzusaugen. Wie war es denn im Orient? Märchen waren Männergeschichten, die in den Karawansereien erzählt wurden, voll von Duft, Schönheit und erotischen Reizen. Wir haben sie auch. Warum sollten wir sie nicht erzählen? Sie sind ein Bündel aus Realität und Phantasie, aus Gefahr und Erlösung, aus Probe und Erfahrung. Und die Menschen sind dankbar für diese Botschaften.

Macht es einen Unterschied, ob Märchen erzählt oder vorgelesen werden? Was ist „besser“?
Erzählen ist die älteste Form der Gedankenvermittlung. Es schafft eine Gemeinschaft zwischen Erzähler und Hörer, eine zwischenmenschliche Beziehung, eine Nähe, eine Art Verbrüderung, die über die aufmerksamen Augen und Ohren geht, über den Blick des Erzählers für etwa Unverständliches oder Bedrohliches. Wenn ich diese Beziehung durch ein Buch, aus dem ich lese, durchschneide, ist meist der Reiz weg, Kinder beginnen zu rutschen, zu gähnen, Ältere widmen sich anderen Dingen usw. Beim Erzählen kann ich raffen oder dehnen, erklären oder augenzwinkernd Verständnis bezeugen… Erzählen ist viel mehr als Vorlesen!

Was ist Ihr liebstes Märchen von Schönwerth?
Eigentlich liebe ich sie alle, denn sie haben alle ihren eigenen Reiz. Ich liebe die Mythen, die Geschichten um Sonne und Mond und die Naturgewalten, die unzähligen hilfreichen Taten der Holzfräulein, die prunkvollen Zaubermärchen…

Welches Märchen aus der großen Auswahl von den Gebrüdern Grimm, Andersen, Hauff Märchen mögen Sie am liebsten?
Seit ich mich so intensiv mit Schönwerth beschäftige, sind alle anderen Märchenautoren blass geworden. Ich mag die verstümmelten Märchen nicht mehr, die auf Kinderverhältnisse heruntergeschnitten wurden. Kunstmärchen sind für mich als Sprachkunst nachvollziehbar, aber mir sind die authentischen, alten Märchen lieber.

Was lieben Sie persönlich an Märchen?
Ich liebe ihre Wildheit, ihre phantasiereichen Wege, ihre Probleme, die ja eigentlich die Probleme der Menschheit sind, und deren Lösungen, die auch wieder ein archetypisches Muster über alle Zeitgrenzen hinweg sind.

Bitte erzählen Sie eine kleine Geschichte in Zusammenhang mit Märchen (Schönwerth),die die große Bedeutung der Märchen für die Seele des Menschen darstellt.
„In einem alten Buchenwalde standen zwei riesige Buchen nebeneinander. Es war Abend, und traurig hing die eine die Zweige, weshalb die Nachbarin fragte, was sie habe, dass sie das Haupt so senke. Jene aber erzählte, dass gestern der Förster hier gewesen sei und sie morgen zum Fällen bestimmt habe: sie werde nun bald das Leben lassen. „Wehe mir, erwiderte die Nachbarin, da wirst du auch mich im Falle verletzen!  Die erste schwieg, noch mehr betrübt durch diesen Ausbruch der Selbstsucht. Am andern Tage aber kam der Förster mit dem Herrn des Waldes, und beide fingen darüber zu streiten an, welche von den zwei schönen Buchen gefällt werden solle. Da beugten sich die Bäume seufzend hin und her. „Wer hat geseufzt?“ rief der Herr. Es war aber niemand da, der Antwort gab. Furcht trieb die Förster von dannen, und die herrlichen Bäume blieben verschont.“
Aus Neuenhammer.

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Wer war Franz Xaver von Schönwerth?

1810
Franz Xaver kam als erstes von sechs Kindern des Amberger Zeichenlehrers Joseph Schönwerth (1773 - 1851) und seiner Frau Josepha Kirchberger (1780 - 1828) zur Welt.

1832
Trotz der bescheidenen Verhältnisse der Familie durfte Franz das Gymnasium besuchen, das er mit hervorragenden Leistungen, besonders in Geschichte und Sprachen, absolvierte. Er begann im gleichen Jahr sein Studium in München, wo ihm besonders der Romantiker Joseph Görres den entscheidenden Impuls für seinen weiteren Berufsweg gab.

1841
Der Jura-Student an der Münchener Universität fiel durch vorzügliche Noten auf. Nach bestandener Prüfung wurde er als Revisor an der Regierung von Oberbayern angestellt.

1845
Der bescheidene, vielfach gebildete und fleißige Mann wurde Sekretär des Kronprinzen Maximilian und bekam verantwortungsvolle Aufgaben als Hofsekretär und Vorstand der Finanzkasse beim späteren König Max II. Er wurde dessen Ratgeber und Vertrauter.

1854
Er begann die vorbereitenden Arbeiten für sein großes Werk Aus der Oberpfalz – Sitten und Sagen.

1856
Er heiratete Maria Rath (1836 - 1905), die Tochter des Hammergutsbesitzers Michael Rath aus Neuenhammer, der ursprünglich aus Freudenberg stammte. Aus dieser Ehe stammten acht Kinder.

1857
König Maximilian II. Joseph, sein Arbeitgeber und Förderer, ermöglichte Schönwerth die Weiterarbeit in Neuenhammer durch Forschungsaufträge. Mit Hilfe seiner Frau, seines Schwiegervaters und von Freunden wie Pfarrer Heigl, Pfarrer Riedl und Kooperator Troßmann in Pleystein (1854 - 1870), wuchs die Sammlung immer weiter an.

1858
Es folgten zwei weitere Bände von Sitten und Sagen. König Maximilian II. war so dankbar für die volkskundliche Arbeit Schönwerths, dass er ihm 1859 den persönlichen Adelstitel verlieh. Ab jetzt hieß er „von Schönwerth".

1874
Aus einem ungebremsten Interesse und Fleiß heraus sammelte er auch noch Sprichwörter des Volkes der Oberpfalz in der Mundart, ein wahrer Schatz an Volkspoesie.

1880
In diesem Jahr begab sich Franz Xaver von Schönwerth in den verdienten Ruhestand.

1886
Am 24. Mai starb Franz Xaver von Schönwerth in München und wurde dort im Alten Nördlichen Friedhof beigesetzt. 

Leider gibt es kein Bild von Schönwerth. Er wollte sich weder malen noch „photographiren” lassen. Ein Zeitgenosse beschreibt ihn als groß, blond, blauäugig, stattlich und mit elastischem Gang.

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Was lenkte Schönwerths Blick auf die Erzählforschung?

„Diese Leute könnten sich nämlich der Ansicht nicht entschlagen, daß ein Gebildeter unmöglich an solchen ‘Dummheiten’ Gefallen finde”. (Schönwerth, Sitten und Sagen, 1857)

Unheilsbringer wie Hexen, Bilmesschneider, Wilde Jagd, Drud oder Teufel waren von den Aufklärern als Gestalten des finsteren Aberglaubens bekämpft worden. 

Deshalb war es keineswegs selbstverständlich, dass Schönwerth geeignete Gewährspersonen fand, die ihm die alten Geschichten erzählen wollten.

In seiner Münchner Studienzeit wurde Schönwerth mit den Schriften der Romantiker vertraut. Er teilte ihre Wertschätzung für regionale Lieder, Bräuche und Erzählungen als Ausdruck der „Volksseele” (Herder).

Den entscheidenden Anstoß gab jedoch Jacob Grimm: 

„Seit auf der Hochschule Professor [Georg] Phillips mir Grimms Deutsche Mythologie in die Hand gab, geht der Gedanke mit mir, in gleicher Richtung die Oberpfalz, von der nahezu nichts bekannt ist, zu beschauen.”

Schönwerth war davon begeistert, dass es neben der bekannten griechischen oder römischen auch eine so gut wie unbekannte deutsche Mythologie gegeben habe. Wissenschaftlich hat sich allerdings die Vorstellung einer rein mündlichen Überlieferung über 80 oder mehr Generationen längst als Irrtum erwiesen.

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Wie sah es damals auf dem Lande aus?

„Nivellieren von unten auf, Uniformieren von oben herab sind die gewaltigen Mühlsteine der Neuzeit.” (Schönwerth, Sitten und Sagen 1857) 

Die Lebensmittelproduktion musste gesteigert werden, um die rasch wachsende Bevölkerung und die Arbeiter in den Fabriken zu versorgen. Dadurch veränderte sich auch die Landschaft: Moore, Sümpfe und viele Teiche wurden trockengelegt, öde Flächen durch Dünger und neue Kultivierungsmassnahmen verbessert, Bäche und Flüsse begradigt.

Die Weidehaltung wurde zugunsten der ganzjährigen Stallhaltung aufgegeben. Bis dahin konnten arme Leute im Wald auch Kleinholz, Tannenzapfen und Pilze sammeln oder Streu zusammenrechen für ihre Ställe.

Jetzt bestraften staatliche Forstbeamte durch neue Gesetze diese Übergriffe, was sich sogar in den Märchen niedergeschlagen hat: Der Teufel und der Besenbinder erzählt davon, wie der ertappte Holzdieb mit Witz und Gottvertrauen den Teufel als Aufseher besiegt.

Voller Sorge schreibt Schönwerth: 

„Heutzutage scheint man durch ganz Deutschland einen förmlichen Kreuzzug gegen das Wasser in Teich und Weiher und See zu organisieren: Die Folgen werden noch spürbar werden. Nichts straft sich schneller als die Sünde wider die Natur.” 

Er meinte, dass sich das Erscheinungsbild von Menschen und Dörfern änderte zum Schlechteren, Billigeren.

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Industrialisierung und die Veränderungen auf dem Land

Schönwerth befürchtete, dass der Rhythmus der Jahreszeiten, Glaube und Tradition, die über Jahrhunderte den Lebenslauf der genügsamen Bevölkerung bestimmt hatten, verloren gingen.

Die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts befand sich im wirtschaftlichen und politischen Umbruch, dadurch wuchsen bei den Menschen Verunsicherung und Angst.

Dank des neuen Transportmittels Eisenbahn und der Nutzung von Stein- und Braunkohle entstanden in den frühen 1850er Jahren überall neue Industrieregionen.

In Maxhütte-Haidhof und Sulzbach-Rosenberg wurden damals Schienen- und Stahlwerke eröffnet. Die neue Konkurrenz an Rhein und Ruhr wirkte sich in der Oberpfalz sehr ungünstig aus. Auch in Neuenhammer waren die Veränderungen des anbrechenden Industriezeitalters deutlich zu spüren.

Die Not in vielen Landstrichen der Oberpfalz und im Bayerischen und Oberpfälzer Wald zwang Tausende zur Auswanderung in die industriellen Zentren München, Augsburg oder Nürnberg oder gar nach Amerika, während die Zurückbleibenden sich zusehends abgehängt fühlten.

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Schönwerths Hauptwerk

Schönwerth ist vor allem durch sein dreibändiges Werk „Aus der Oberpfalz – Sitten und Sagen” bekannt geworden, das von 1857 bis 1859 erschienen ist. 

Auf fast 1.300 Seiten werden Brautwerbung, Hochzeit, Bauernarbeit, Stall und Feldfrüchte, die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, Arme Seelen, Hexen, Tod und Teufel, das Ende der Welt und vieles mehr behandelt.

Schönwerth, der 1886 in München starb, kam nicht mehr dazu, sein ganzes Quellenmaterial zu veröffentlichen. 

So ging der auf rund 30.000 Blätter geschätzte Nachlass an den Historischen Verein für Oberpfalz und Regensburg über und wird heute im Stadtarchiv Regensburg aufbewahrt. 

Trotzdem geriet die Sammlung weitgehend in Vergessenheit, bis Adolf und Erika Eichenseer die Schönwerth-Gesellschaft ins Leben riefen, welche sich auch für diesen Märchenweg einsetzte. Erika Eichenseer machte den Autor in der ganzen Welt bekannt, indem sie eine Reihe von Schönwerthbüchern veröffentlichte, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden.

Schönwerths Sammlung kommt eine große Bedeutung zu, da sie einen guten Eindruck von der Erzählkultur um die Mitte des 19. Jahrhunderts vermittelt, bevor sich diese durch die einsetzende Modernisierung rasch zu verändern begann.

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Wie hat Schönwerth gesammelt?

 1851 ist Franz Xaver von Schönwerth zum Generalsekretär und Ministerialrat am Bayerischen Staatsministerium der Finanzen in München aufgestiegen. 

Es gab zu der Zeit sehr viele Oberpfälzer, die nach München ausgewandert waren. Unter den „Kocherln“, Kindermädchen, Fuhrleuten, „Hausln” und anderen einfachen Bediensteten fand er seine Gewährsleute, die ihm gegen eine Tasse Kaffee oder eine Prise Schnupftabak ihre Geschichten erzählten. 

Wie er dabei vorging, beschreibt er in den Sitten und Sagen: 

„Weiber und Weber der Heimat ließen sich gegen kleine Geschenke und Bewirthung in der Regel gerne herbey, sich als Inquisiten mir gegenüber zu setzen und wurden ganz mittheilsam, wenn ich der Erste war, in der heimatlichen Mundart zu erzählen. Es erfordert große Uebung, gerade dasjenige, worauf es ankommt, herauszufragen, und an Geduld darf es nicht fehlen.”

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6. Märchen für verschiedene Altersstufen

Die Qualifizierung der Märchen, generell Kindermärchen zu sein, hat sich zumindest bei den Geschichten aus der Schönwerth-Sammlung als unrichtig erwiesen. In der Praxis erstreckt sich das Interesse für die phantastischen Erzählungen von den Vorschulkindern über die kleinen und größeren Schüler bis zur beginnenden Pubertät. 

Ein spezielles Interesse haben, auch wenn ihnen das nicht so bewusst ist, die Pubertierenden, deren spezielle Sorgen und Nöte in den Märchen sichtbar  werden. Doch der Charme der Märchen offenbart sich auch den Menschen weit über die Schulzeit hinaus, seien es bei Kombinationen mit anderen Kunstgattungen --> [Siehe: Schönwerth in der Kunst], sei es für die jungen Eltern, Vereine, Senioren- oder psychisch belastete Gruppen, oder auch auf Universitäts Ebene, z.B. die Bewusstseinswissenschaft, die sich den tiefen Schichten auf ganz andere Weise nähert. 

Mehr über Schönwerth für verschiedene Altersstufen


7. Lese- und Begleitheft für Lehrer*innen

Zur Vorbereitung der Lehrer in verschiedenen Schulgattungen auf den altersgemäßen Umgang mit den Schönwerth-Märchen hat der Schönwerth-Gesellschaft in 2010 zwei Broschüren herausgebracht: “Sagen und Märchen aus der Oberpfalz - ein Leseheft” mit 9 Sagen, die dann in dem Begleitheft für Lehrer:  “Sagen aus der Oberpfalz” in den Lehrplan eingebaut werden können und mit vielen praktischen Unterrichtsbeispielen ausgestattet sind.

Download: Sagen und Märchen aus der Oberpfalz - Leseheft

Download: Sagen und Märchen aus der Oberpfalz – Lehrerheft

Siehe auch: Schönwerth in der Schule


8. Weitere Anregungen

Neue Ideen, praktische Vorschläge und Werkanweisungen für die Benutzer stehen hier zur Verfügung. So können Eltern, Lehrer, Betreuer, Ausbilder, Psychologen, Therapeuten oder ganz einfach Märchenbegeisterte Anregungen bekommen zu weiter- oder zielführenden Arbeiten.